Geschichten aus meiner Fussball-Welt


Ein unvergesslicher Einsatz ...


Es ist Samstagmorgen, 8.00 Uhr. Ich schleiche mich auf leisen Sohlen zu Peters Schlafzimmer. Vor seinem Bett bleibe ich stehen und bewundere meinen schlafenden Sohnemann. Heute darf mein grosser Stolz zum ersten Mal an einem Spiel der "U17" (Jungs unter 17 Jahren) sein Können unter Beweis stellen.

 

"Schnell aufstehen, mein Liebling! Dein Frühstück steht auf dem Tisch." Das Vollkornmüsli, der frisch gepresste Orangensaft und das Dinkelbrot zaubern jedoch nicht das freudig-dankbare Lächeln auf Peters Gesicht, das ich erwartet hatte ...

 

Auf der Fahrt zu diesem wichtigen Spiel beglücke ich meinen kleinen Star mit vielen wertvollen Tipps, die er mit einem stummen Nicken kommentiert. Nun stehen sie auf dem Platz. Mein Goldjunge trägt die Nr. 11. Gebannt verfolge ich jede seiner Bewegungen.

 

Da ... jetzt stürmt er ganz alleine auf das Gegentor zu! Meine Begeisterung kennt keine Grenzen; ich schreie mir die Seele aus dem Leib: "Hopp, hopp Peter ... super Peter ... deine Mammi liebt dich!" Wie von unsichtbarer Hand gestoppt, hält mein Peter mitten im Sturmlauf an. Ein Gegenspieler nimmt ihm den Ball mühelos ab.

 

Was ist passiert ... was macht er denn jetzt? Peter läuft vom Platz, unterhält sich mit seinem Trainer und bleibt schlussendlich neben ihm auf der Bank sitzen. Freudlos verfolge ich das langweilige Spiel bis zum Ende.

 

Auf der Heimfahrt redet Peter kein Wort mit mir. Nun, ich werde versuchen, ihn beim nächsten Mal schon vor seinem Einsatz moralisch aufzubauen! Auf seine Mammi kann sich Peter eben immer verlassen!


Gerade schwebe ich in einer heissen Kussszene mit meiner Nachbarin Katja, als ich von der schrillen Stimme meiner Mutter aus meinen Träumen in die Realität zurück gerissen werde.

 

Mein Ärger weicht jedoch schnell einem unbeschreiblichen Glücksgefühl. Endlich ... es ist endlich Samstag! Heute kann ich allen zeigen, was in mir steckt! Aber ... ein erster Dämpfer kündigt sich bereits beim Frühstück an. Meine Mutter reitet mal wieder auf der Gesundheitswelle. Wer bitte schön soll sich denn bloss an diesem "Körnlipickerfrass" erfreuen und danach auch noch satt sein?!? Dass ich den O-Saft frisch zubereitet nicht mag, habe ich ihr auch schon tausendmal versucht klar zu machen. So, wie sie die Orangen auspresst, kann man den Saft nahezu löffeln.

 

Auf der Fahrt versuche ich meine Nervosität mit dem Sound aus meinem iPad abzulenken. Ab und zu nicke ich meiner Mutter zu, die irgendwas von Taktiken und Spielverhalten faselt. Wer hat ihr bloss den Floh ins Ohr gesetzt, dass sie etwas von Fussball versteht?!

 

Das Spiel beginnt. Unglaublich, die Nr. 5 der gegnerischen Mannschaft ist mindestens zwei Köpfe grösser; der ist bestimmt älter als wir! Aber der Schiedsrichter scheint nicht nur in dieser Hinsicht Augenprobleme zu haben! Aber ich lasse mich nicht verunsichern und tripple den "Fouli-Brüdern" schon bald um die Ohren in Richtung Gegentor.

 

Dann ... oh Graus ... Mutters "deine Mammi liebt dich" geht mir durch Mark und Bein. Ich kann die Blicke fühlen, die sich wie förmlich wie Pfeile in meinem Körper bohren. Mit hochrotem Kopf entferne ich mich in Windeseile vom Feld. Meine Bitte, mich vom Weiterspielen zu erlösen, erfüllt mir mein Trainer ohne grosse Diskussion.

 

Auf der Heimfahrt bete ich zu Gott (das letzte Mal hatte ich ihn um neue Fussballschuhe gebeten; das hatte funktioniert), dass er die Gegenwart meiner Mutter beim nächsten Match doch bitte anderswo vorsieht.

 

Nicoletta Hermann - 2003/2013